Nicht alle Eltern sind glücklich, wenn ihre Kinder erwachsen werden und ausziehen. Oft ist damit Einsamkeit, Trauer, aber auch Verlustangst verbunden. Mag.a Julia Erlach von KOKO spricht im Interview, wie man diese Nestfluchtdepression vermeiden und überwinden kann.
Wie kommt es zu dem Phänomen der Nestfluchtdepression?
Mag.a Julia Erlach: „Viele Mütter und Väter stellen sich das Ereignis des Auszugs ihrer Kinder ganz anders vor als es schließlich ist. Die Vorstellung eines entspannten Alltags ohne Kinder weicht letztendlich den überwältigenden Emotionen am Tag des Auszugs. Die Eltern möchten ein wichtiger Teil im Leben der Kinder bleiben und wünschen sich, dass das, was sie über viele Jahre hinweg emotional investiert haben, auch weiterhin bestehen bleibt.“
Wieviele Eltern sind von der Nestfluchtdepression betroffen?
Erlach: „Es gibt leider keine genauen Zahlen, wie viele Menschen von diesem Phänomen betroffen sind. Schätzungsweise sind es ein Drittel der Mütter. Von Vätern sind keine Statistiken bekannt, was jedoch nicht bedeutet, dass sie nicht unter der Trennung leiden.“
Gibt es eine Unterscheidung bei berufstätigen Mütter und jenen, die sich ausschließlich um die Erziehung gekümmert haben?
Erlach: „Berufstätigen Müttern fällt die Trennung oft leichter, weil der Fokus der vergangenen Jahre nicht ausschließlich auf die Kinder gerichtet war. Frauen, die sich vor allem über ihre Mutterrolle definieren und weniger soziale Kontakte haben, sind häufiger betroffen. Auch manche Alleinerziehende leiden mehr, weil ihnen in dieser neuen Lebensphase die Unterstützung eines Partners fehlt.“
Wie können Eltern die Nestfluchtdepression verhindern?
Erlach: „Wichtig ist, sich nicht zu schämen und den Schmerz zuzulassen – auch wenn die Gesellschaft einem das oft ungern zugesteht. Der Ablöseprozess der Kinder ist ganz normal und sollte gefördert werden, an die Veränderung muss man sich aber erst gewöhnen. Gleichzeitig ist der Blick nach vorne von Bedeutung. Die Beziehung zu den Kindern bricht nicht ab, sie geht auf einer anderen Ebene weiter. Dem Nachwuchs soll zugetraut werden, sein Leben alleine meistern zu können. Oft hilft es, sich frühzeitig vor dem Auszug gedanklich einzustimmen und sich auf die eigenen Lebensziele vorzubereiten. Moderne Medien ermöglichen zusätzlich ein Zusammenbleiben während der Trennung zum Beispiel über Videotelefonie. Im Internet werden auch Blogs und Foren für Eltern angeboten, wo man sich mit anderen betroffenen Eltern austauschen kann. Halten der Leidensdruck und die Traurigkeit unvermindert an, kann sich daraus eine Depression entwickeln. In diesem Fall ist es hilfreich, sich an einer der vielen Beratungsstellen in ganz Österreich zu wenden.“
Welche weiteren Aktivitäten sind hilfreich?
Erlach: „Die Wiederaufnahme der Arbeit, Hobbys, das Bewusstmachen der sich eröffnenden Möglichkeiten von „Freiheit“ und finanzieller Entlastung wären zusätzliche Möglichkeiten, um die eigene Leere zu bewältigen. Die Eltern sollten nach neuen Aktivitäten Ausschau halten, zum Beispiel eine Reise planen, eine Sprache lernen, einen Kurs besuchen, eine Ausbildung beginnen – irgendetwas, das man schon lange machen wollte, könnte jetzt realisiert werden. Wenn die Beziehung gut ist, kommen Kinder immer wieder gerne nach Hause zurück. Kinder brauchen Trennung, um dann wieder Nähe zuzulassen.