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Interview: „Scheidung bedeutet für Kinder einen massiven Verlust“

KOKO bietet seit 2014 Beratungen für Paare an, die vor einer Scheidung stehen. Mag.a Julia Deutsch-Erlach war an der Entwicklung der Gesetzgebung dieser verpflichtenden Beratung beteiligt. Sie spricht unter anderem über den Ablauf der Beratung, welche Rolle die Kinder dabei spielen, über Ursachen von Trennungen und wie zeitgemäß eine Ehe überhaupt noch ist.

 

Wann wurde diese verpflichtende Beratung ins Leben gerufen?

Mag.a Julia Deutsch-Erlach: 2013 wurde das Kindschaftsrecht reformiert. Seitdem sind nach §95 Absatz 1a Außerstreitgesetz alle Eltern minderjähriger Kinder, die sich einvernehmlich scheiden lassen möchten, verpflichtet, eine Bestätigung über ein Beratungsgespräch hinsichtlich „der spezifisch aus der Scheidung resultierenden Bedürfnisse der Kinder“ bei Gericht vorzulegen. Ziel dieses Gesetzes ist, „die Interessen und das Wohl des Kindes in vor Gericht ausgetragenen Obsorge- und Kontaktrechtskonflikten in den Vordergrund zu stellen“. Ich habe bei der Entwicklung der Qualitätskriterien zur Durchführung dieses Gesetzes mitgearbeitet. Bei KOKO wird diese Form der Beratung seit 2014 angeboten.

 

Rund 50 Prozent der Ehen werden laut Statistik geschieden. Was sind die häufigsten Ursachen dafür?

Das stimmt. Statistisch nicht mitberücksichtigt sind dabei Trennungen von nicht verheirateten Paaren. Dabei handelt es sich jedoch nicht um einen Trend. Weitere Statistiken zeigen nämlich, dass die Zahl der Scheidungen bereits seit Beginn des Jahrhunderts gestiegen ist.

In der Literatur werden unterschiedliche Modelle erwähnt, welche versuchen, die Gründe für Trennungen/Scheidungen zu erklären: Unter anderem kann sich die Qualität einer Beziehung im Laufe der Zeit verschlechtern, weil zum Beispiel Äußerlichkeiten, Persönlichkeiten, sexuelle Anziehung etc. keine positiven Gefühle mehr beim anderen Partner/der anderen Partnerin erzeugen. Einem anderen Modell zufolge wägen Paare in der Beziehung ständig „Kosten (z.B. Streitereien, finanzielle Probleme,…) und Nutzen (z. B. Liebe, Vertrautheit, Sexualität, Familiengründung,…)“ ab und achten darauf, dass diese immer im Gleichgewicht bleiben bzw. der Nutzen überwiegt. Andauernder Stress kann dafür sorgen, dass sich ein Paar immer mehr als zwei Einzelpersonen sieht, was zu Problemen in der Kommunikation und zunehmender Entfremdung führen kann. Ein Ungleichgewicht bzgl. Kosten und Nutzen dieser Beziehung/Ehe kann letztendlich zur Trennung/Scheidung führen. Ein weiterer Grund könnte in einem Mangel an Bewältigungskompetenzen des Paares liegen, begründet durch persönliche Merkmale in Kombination mit Stress.

Eine weitere Ursache für die hohen Trennungs-, bzw. Scheidungsraten könnte in der Veränderung des Rollenbildes der Frau in den vergangenen Jahrzehnten liegen. Frauen von heute haben deutlich mehr Rechte und Möglichkeiten, sind in vielen Fällen nicht mehr (finanziell) abhängig von ihrem Ehemann. Durch den Wegfall von sozialem Druck und eigenen Verdienstmöglichkeiten aufgrund besserer Ausbildung, ziehen heute mehr Frauen eine Trennung/Scheidung in Erwägung.

 

Wie konkret läuft eine Beratung bei KOKO ab?

Die Beratung kann alleine, als Paar oder in der Gruppe absolviert werden. Die Kinder sind dabei nicht anwesend. Im Anschluss daran erhalten die Eltern eine Bestätigung, welche sie bei Gericht vorlegen müssen, da ansonsten keine einvernehmliche Scheidung möglich ist. Die für diese Form der Beratung notwendigen Qualifikationen eines Beraters/einer Beraterin sind genau festgelegt, d. h. nicht jede/r, die/der im Bereich der Beratung tätig ist, darf eine Elternberatung nach §95 ausführen.

Inhaltlich stehen das Erleben der Kinder, deren Bedürfnisse, Wünsche, Nöte, Ängste und Reaktionen im Zusammenhang mit der elterlichen Scheidung im Vordergrund, aber auch die Rechte der Kinder und die möglichen Unterstützungsangebote für Eltern und Kinder.

Die Eltern werden demzufolge darüber informiert, welche Rechte ihre Kinder haben, wo sie Unterstützung erhalten, aber auch welche Möglichkeiten eine Trennung/Scheidung für das Kind bzw. die Kinder mit sich bringen kann (z. B. Chance auf eine konfliktfreie familiäre Umgebung).

Scheidung bedeutet für Kinder immer einen massiven Verlust und kann unterschiedliche Reaktionen hervorrufen, z. B. Loyalitätskonflikte, Angst, Wut, Trauer, Ohnmacht. Die meisten Reaktionen haben den Zweck, das „seelische Gleichgewicht“ wieder herzustellen. Wichtig ist, den Eltern nicht nur zu erklären, wie Kinder den Trennungs- bzw. Scheidungsprozess erleben, sondern auch, was Kinder brauchen, um diese Zeit bestmöglich zu bewältigen.

Wenn Eltern es schaffen, nach der Trennung/Scheidung zu kooperieren, angemessen und kindgerecht auf die Bedürfnisse der Kinder einzugehen, besteht weniger die Gefahr, dass sich anfänglich auftretende Reaktionen zu längerfristigen Verhaltensauffälligkeiten manifestieren. Andauernde elterliche Konflikte vor, während und nach der Trennung können jedoch psychische Störungen und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern erzeugen, die sich später bei nicht adäquatem Umgang verfestigen können.

Den Eltern muss im Gespräch vermittelt werden, dass es wichtig ist, dass Kinder zum getrennten Elternteil eine intensive Beziehung aufrechterhalten dürfen. Konstante Bezugspersonen und familienstützende Beziehungen, Einhaltung und Kontinuität und Routine im Alltag sowie klar definierte Regeln helfen, mit der neuen Situation zurechtzukommen. Zuneigung, Geborgenheit und Aufmerksamkeit sowie Raum und Zeit für die Bewältigung helfen zusätzlich. Eltern sollen den Kindern vermitteln, dass sie selbst verantwortlich sind für die Trennung/Scheidung und beide weiterhin verfügbar bleiben. Altersgerechte klare Informationen und Antworten können helfen, eine realistische Vorstellung von Trennung und daraus resultierenden Folgen zu bekommen. Die meisten Kinder haben eine Trennung nach zwei bis drei Jahren überwunden.

Wichtig ist auch die Vermittlung einer aus der Trennung resultierenden positiven Seite: Sie bietet Chance auf neue Erfahrungen, Freiräume, Selbständigkeit und die Möglichkeit, nicht mehr in einer konfliktbelasteten Atmosphäre leben zu müssen.

 

Welchen „Sinn“ hat eine verpflichtende Beratung?

Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass jede Form der Beratung „unbedingte Freiwilligkeit“ benötigt, damit Veränderungen erreicht und Eltern Ratschläge annehmen können. In dieser Beratung werden Eltern verpflichtet, herauszufinden, wie ihre Kinder die Scheidung erleben. Sie haben außerdem die Möglichkeit, dieses Angebot unbedenklich anzunehmen, ohne dass ihnen jemand das Aufsuchen einer Beratung als „Beweis für eine pädagogische Schwäche“ vorwerfen kann. Weiters besteht die Chance für Elternpaare, in diesem Rahmen eine „Elternschaft neu“ entstehen zu lassen. Viele verlieren durch die verpflichtende Elternberatung die „Scheu“ vor Beratung/Therapie, so dass sie auch nach diesem Termin Beratung in Anspruch nehmen können. Erfahrungen mit dieser Form der Beratung zeigen, dass Eltern Beratung trotz anfänglicher Widerstände in vielen Fällen als hilfreich wahrnehmen und sich unterstützt fühlen.

 

Kommt es nach den Beratungen auch vor, dass Paare von einer Scheidung wieder absehen?

Eigentlich nein, aber viele verlieren dabei „die Scheu“ vor Hilfsangeboten und trauen sich auch in Zukunft, Beratungen/Therapien in Anspruch zu nehmen.

 

Gibt es aus Ihrer Sicht Voraussetzungen für eine Ehe, die auf Dauer halten soll?

Wie kann man eine glückliche Ehe aufrechterhalten? Diese Frage taucht oft auf, weil sich viele Menschen eine langfristige Beziehung wünschen. Der Literatur zufolge gehört eine „harmonische Partnerschaft“ sogar zu den wichtigsten Lebenszielen vieler Menschen. Erfolgsrezept für eine Ehe auf Dauer gibt es dennoch keines.

Folgende Faktoren können Beziehungen positiv beeinflussen:  gegenseitige Wertschätzung, Respekt, Empathie, Kommunikation, gemeinsame Ziele, gegenseitige Unterstützung v. a. im Haushalt und bei/mit den Kindern, gemeinsame Freizeitaktivitäten, gemeinsame Regelung finanzieller Angelegenheiten, Intimität und getrennte Freizeit. Viele (Ehe)paare suchen in Konfliktsituationen leider keine Hilfe auf.

 

Zum Abschluss: Wie zeitgemäß ist die Ehe heute noch?

In Anbetracht der Scheidungszahlen muss man sich tatsächlich die Frage stellen, wie zeitgemäß das „Modell der Ehe“ heute noch ist. Der Wunsch nach Liebe und Geborgenheit gehört nach wie vor zu den größten Bedürfnissen vieler Menschen, infolgedessen schließen viele Menschen im Laufe ihres Lebens eine Ehe und gründen eine Familie.

Manche Autoren behaupten, die Ehe habe in den vergangenen Jahren an Bedeutung verloren, weil sie keine wirklichen Vorteile gegenüber einer nicht-ehelichen Beziehung mit sich bringt. Vermehrt wird durch die verlängerten Schul- und Ausbildungszeiten gesellschaftlich akzeptiert, wenn jemand alleine oder mit einem/einer nicht-ehelichen Partner/Partnerin zusammenlebt. Die Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert mittlerweile eine nicht-eheliche Partnerschaft und einige sind auch der Meinung, dass es sich bei der Ehe um einen „unzeitgemäßen Brauch“  oder ein „Auslaufmodell“ handelt bzw. dass kein wesentlicher Unterschied zwischen verheiratet sein und nicht verheiratet sein, besteht.

In Österreich gilt nach wie vor, dass bei nicht verheirateten Paaren im Falle des Ablebens der Kindesmutter die Obsorge nicht automatisch an den Kindesvater übertragen wird. Manche Eltern nehmen diese Tatsache zum Anlass, um zu heiraten.

Seit den 1970er Jahren sind die Heiratszahlen gesunken, was jedoch nicht heißen muss, dass die Ehe an Bedeutung verloren hat. Die abnehmenden Zahlen könnten sich dadurch erklären lassen, dass heutzutage später geheiratet wird und diese Tatsache die Statistik verzerrt.

Der Literatur zufolge hat die Ehe zwar eventuell an „Symbolwert“ verloren, von einem „Ende der Ehe“ kann jedoch nicht gesprochen werden.

 

 

Info über das Team:

Die Elternberatung nach §95 Absatz 1a AußStrG wird bei KOKO durchgeführt von:

Mag.a (FH) Susanne Macha, Diplomsozialarbeiterin, Mediatorin, Familienberaterin

Mag.a Julia Deutsch-Erlach, Klinische Psychologin, Gesundheitspsychologin, Familienberaterin

Dauer und Kosten:

Einzelberatung: 50 Minuten, €77,-/Termin

Elternberatung: 50 Minuten, €77,-/Termin

Gruppenberatung: 2 Stunden, €33,-/Person